Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938
Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938
Wie könnt ihr sowas Sühne nennen?
Dieses Teil aus massivem Beton:
diese aufgestapelten Quader,
aufgestapelt und schwarz übermalt –
ein verwaschenes, glanzloses, totes Schwarzmatt –
Hier lebt gar nichts. Dies ist nur toter Beton
verdeckt von toter Farbe.
Dies ist ein Mahnmal. Für wen soll es sein?
Kümmert das die Toten denn wirklich?
Eine hohle Platte aus Metall gibt es da,
die trägt die Namen der Opfer,
der unschuldigen Männer und Frauen,
die man nachts in ihrem eigenen Zuhause ermordet hat.
Aber die Namen sind schwer zu lesen,
es fehlt an Kontrast.
Alles ist überstrichen
in einem verblichenen Schwarz. Und so sind die Opfer
unsichtbar geworden, sie fallen nicht ins Gewicht,
so wie damals, 1938.
Das Design sollte zeitlos sein.
Das Design sollte einfach sein:
minimalistisch, gradlinig
und völlig schmucklos.
Was ist zeitlos? Was ist für die Ewigkeit?
Wie soll denn etwas sein,
das zeitlos ist?
Unvergänglich? Ohne Alter? Ohne Jahreszahl? Ohne Ende?
Doch dieses Mahnmal wirkt wie eine halbherzige,
widerwillige Geste. Zu spüren ist
ein Mangel an Gefühl, als gelte es neutral zu sein.
Der Künstler hatte hier eine Bank
vorgesehen, einfach so, genau
vor dem Denkmal. Als einen Ort
um zu verweilen, um nachzudenken –
Aber wer würde hier sitzen wollen
an dieser trostlosen Straßenecke?
Wer würde hier sitzen wollen
und auf solch banale Hässlichkeit starren?
Schließlich aber starb der Künstler
bevor das Mahnmal errichtet wurde –
und man ließ die Bank weg.
Schulkinder kommen und gehen,
Leute streifen vorbei auf ihrem Weg wohin auch immer–
aber wie viele von ihnen wissen
etwas über dieses Mahnmal?
Und doch gibt es noch welche, die hier Blumen ablegen
während andere kleine Steine
hinterlassen auf dem Sims.
Manchmal kommen Besucher:
Am 27. Mai 1997
sprach Rabbi Dr. Jacob Gerd Wiener
aus Silver Spring in Maryland,
geboren 1917 in Bremen
als Koppel Gerd Zwienicki
das Kaddisch für seine Mutter Selma Zwienicki
und für all die Toten.
Nur die Opfer können euch vergeben,
wenn sie denn so entscheiden.
Ein paar Jahre später
hat jemand weiße Hakenkreuze
auf das verwaschene Schwarz gemalt.
Ein paar Jahre später, als hier eine Baustelle war,
hat man ein Bauklo direkt an
das Mahnmal gesetzt. Heute
pinkeln es Hunde an,
jemand hat sich grad daran erbrochen.
Und doch gibt es auch welche, die hier immer noch
Blumen ablegen, während andere
kleine Steine hinterlassen auf dem Sims.
Was ist zeitlos?
Was ist unauslöschlich?
Und so sag ich euch, was zeitlos ist,
ist das Kaddisch, das Dr. Jacob Gerd Wiener
für die Toten gesprochen hat. Was zeitlos ist,
ist die Erinnerung der Seele an das Meer und den Himmel.
Was zeitlos ist, ist die Erinnerung der Seele
an den Gesang eines Vogels, den sie zu ihrem eigenen gemacht hat.
Was zeitlos ist, ist die Erinnerung der Seele an das Leben.
Und so sag ich euch, was zeitlos ist,
ist der Lobgesang der Seele,
wenn sie den sterbenden Körper verlässt.
Sujata Bhatt
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Augustin