Telefonzelle im Schnoor

Wir sind gut angekommen

„Wir sind gut angekommen.“
„Ich vermisse dich.“
„Mein Geld ist gleich alle.“

Das sind die drei Sätze, die einfach zu jeder, sagen wir besser: in jede Telefonzelle gehören. Die wichtigsten drei Sätze. Sie „wohnten“ dort geradezu. Und vergessen wir nicht: Sprechen war früher teuer. So teuer, dass es besser war, es ganz sein zu lassen. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie schnell die wenigen Münzen dann alle waren, trudelten weg, als hätten sie Drogen genommen, ganz futsch, und keiner in der Nähe, der groß in klein wechseln konnte oder auch nur wollte, weil er lieber selber telefonieren wollte oder musste und zwar sehr dringend. Und dann konnte man sich hinten wieder anstellen.

Meine Schwester hatte immer sehr wenig Geld, war eigentlich immer „klamm“, ließ sich darum gern zurückrufen. Das waren Probleme, das waren wirklich Probleme, die man heute gar nicht mehr nachvollziehen kann. Mit dem Handy in der Hosentasche oder in der Handtasche kann man da nur lachen.

Und wehe, wenn man kein Handy hat. Was macht man dann? Ich vermisse dich. Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Am 21. November 2022 wurde die öffentliche Telefonzelle abgeschaltet bzw. die Münzfunktion. Die Telefonzelle ist dadurch de facto überflüssig geworden. Und so werden nach und nach die Kabinen, auch liebevoll „Stübchen“ genannt, verschwinden. In der Nähe von Berlin, bei Michendorf, kann man den Telefonfriedhof besuchen.

Magentagraue traurig anzusehende Schränke in Übergröße sind dort abgestellt worden oder werden dort hingekarrt werden, 160000 Telefon-Häuschen werden es am Ende sein, die dort vor sich hinschweigen, bevor man ihnen den Garaus macht. Ein paar wenige werden es überleben. Es gibt nämlich auch dafür Sammler, so wie es Briefmarkensammler gibt und Isetta-Sammler. Und Plastiktüten-Sammler.

Aber ein Häuschen wird bleiben. Forever. Ungenutzt und herausgeputzt, am selben Platz, an Ort und Stelle. Das wollen wir jedenfalls hoffen, die eine Telefon-Zelle im Schnoor, am Stavendamm.

Sie ist richtig schön gelb angestrichen worden, wie eine Sonnenblume und dient jetzt als Gewächshaus, als Mini-Wintergarten, ist gleichzeitig Telefonzellen-Denkmal und Stellvertreter für alle anderen abgeräumten Sprechzellen geworden. Wenn man nahe herantritt und durch die vielen kleinen Fenster sieht und lange genug davor stehen bleibt, kann man sogar hören, was sich die Pflanzen erzählen. Vielleicht wissen sie noch, wie es war, wie die Telefonzellen früher ausgesehen haben, und wie unangenehm es darin gerochen hat, oft geradezu stank, nach Pisse und nach modrigen, zerfledderten Telefonbüchern, nach Schweiß und Zigarettenqualm. Und wie oft ist das Münzgeld durchgefallen, oder blieb drin stecken, im Apparat, und man konnte nicht mal mehr sagen: „Mutti, ich muss Schluss machen, Tschüss“.

Der letzte Groschen war soeben durchgefallen – und vor der Tür warteten ungeduldig die Leute, die lieben Mitbürger bollerten mit den Fäusten gegen die Fenster.

Der Tod der Telefonzelle bzw. der Telefonkabine, wie die Schweizer dazu sagen, ist sicher das Handy, da sind sich alle einig. Und vergessen wir nicht den Vandalismus, der hat sich vornehmlich an Telefonzellen abreagiert.

„Jahrelang war man daran gewöhnt, Telefonhäuschen zerstört vorzufinden; die vorderen Armaturen der Telefonapparate waren eingeschlagen in der Nacht, und häufig waren die Glaswände der Häuschen eingeworfen.“ Erinnert sich der Bremer Literaturpreisträger Wilhelm Genazino. Die Telefonhäuschen waren schon lange nicht mehr rentabel. Und geputzt werden mussten sie auch noch, obwohl sie nie so aussahen, als ob da herinnen jemals geputzt worden ist. Zuletzt waren sie abgemagert zu Basistelefonen und Stelen, wie sie die Telekom nannte. Man fand sie eigentlich nur noch an belebten Bahnhöfen, Flughäfen oder auf Messegeländen. Stromfresser seien sie gewesen, selbst für Notrufe irrelevant.

Auch diese Funktion habe der Mobilfunk übernommen.

Irgendwann wird alles verschwinden. So wie auch nach und nach die Tankstellen verschwinden werden und das Benzin. Aber die Blumen werden bleiben, und aus der Telefonzelle im Stavendamm herauswachsen. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“. Die Zelle selbst ist verriegelt, ein paar Fenster fehlen, müssen fehlen, damit die Pflanzen genug Luft bekommen. Schöne Schnoorluft. Und ein paar Münzen darf man auch dort lassen, eine kleine Blumenspende, weil Blumen bekanntlich auch welken können; der Einwurf befindet sich im Vogelhäuschen. Karen Marten würde sich bestimmt darüber freuen. Sie kümmert sich um das Wohl der Zelle. Ihr schließlich ist es zu verdanken, dass es das Häuschen immer noch gibt und neue, angenehm anzuschauende, hübsche, wohlriechende Mieter hat.