Antikolonialdenkmal
„Der Elefant“

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Bäume schubsen

Ein Elefant trampelt sachte auf dem Papier. Eine Linie wird radiert, und er bewegt sich noch langsamer, vorsichtiger. Neben ihm Worte, durchgestrichen, unterstrichen, halbfertig.

Sie schreibt sorgfältig Vokabeln in ihr Heft, der Elefant stampft drum herum.

Wie geht es dir? – Ɛfoa?
Wie heißt du? – Nkowode?
Woher kommst du? – Fika_

Eine Vokabel muss sie googeln.

Und können ele_

Die Bildzeitung titelt: Berliner Rektorin klagt: Nur 1 von 103 Kindern spricht zu Hause Deutsch. Dabei wird in 77 Prozent aller Haushalte, in denen mindestens ein Mitglied Wurzeln in nicht-arabischsprachigen Ländern Afrikas hat, die Sprache des Herkunftslandes nicht gesprochen. Viele Eltern geben ihre Muttersprache nicht weiter. Die deutsche Sprache wird zum Schutzschild, um Demütigungen bei Elternabenden oder Arztbesuchen zu entgehen. Sie wohnt in einem dieser Haushalte deutscher Stille.

Vor gut 80 Jahren forderte der Bremische Bürgermeister Heinrich Böhmcker lautstark, Bremen müsse den Titel Stadt der Kolonien erhalten. Keine andere Stadt hätte es so sehr verdient wie Bremen, als „Geburtsstätte des kolonialen Gedankens“ mit seinem Kolonialdenkmal, seinem Hafen, und der Ausstellung Bremen – Schlüssel zur Welt.

Der halbfertig gekritzelte Elefant schaut mit stumm fragenden Augen zurück. Elefanten vergessen nicht, heißt es. Ein zerfledderter Sprachführer des westafrikanischen Ewe verstaubt auf einem Dachboden. Sein Autor, der Missionar und Linguist Diedrich Westermann, hielt 1913 nützliche Begriffe
für den Besuch auf dem Markt fest, Redewendungen für alltägliche Unterhaltungen. Auf den ersten Seiten finden sich Landkarten der damaligen deutschen Kolonien. Es folgt das Kapitel Hausarbeit. In der ersten Zeile steht in altdeutscher Schrift die Übersetzung für das Wort Diener: subola. Sie liest einen Dialog mit der jeweiligen Ewe Übersetzung: Wie alt bist du?, die Antwort: Ich bin 14 Jahre alt, daraufhin: Willst du für mich arbeiten?, und schließlich: Jawohl, mein Herr. Es geht weiter mit den Übersetzungen für Sätze wie Heute bist du faul gewesen oder Wenn du zu spät kommst, werde ich dich strafen. Verletzung ist wortwörtlich.

Durch die Bremische Mission wurde Ewe erstmals verschriftlicht und standardisiert. Um die Bibel übersetzen und verbreiten zu können, entwickelten deutsche Missionare das Ewe-Alphabet und hielten grammatikalische Regeln fest. Der einflussreichste unter ihnen war Westermann, der als Mitbegründer der Afrikanistik gilt und am heutigen Institut für Afrika und Asienwissenschaften der Humboldt-Universität tätig war. Das Institut wurde gegründet kurz nachdem Deutschland seinen Platz unter den Kolonialmächten fand. Kolonialbeamte und Missionare sollten auf ihren Aufenthalt in den Kolonien vorbereitet werden, Sprachen und politische Leitlinien erlernen. Sprache ist politisch.

Der Bremer Missionar Schlegel übersetzte und veröffentlichte 1861 die vier Evangelien. Schon in den 1850er Jahren gab Schlegel einen Schlüssel zur Ewe-Sprache heraus, vielleicht könne man so die verschlossene Truhe öffnen und die Sprache festhalten. Vielleicht könnte sie entfliehen, wenn die Truhe nicht verriegelt ist. Ewe, gesprochen in unzähligen Dialekten, wurde willkürlich in einem einzigen Dialekt eingefroren, das Meer reduziert in eine starre Pfütze. Sprache wurde Besitz, zerfleischt in Stücke, festgehalten, verzerrt, erstarrt.

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Ein Elefant wird gesprochen. Ein Elefant verändert sich. Eine Linie verschwindet. Der Körper faltig und abstrakt. Der Elefant bewegt sich ohne eingeübte Choreografie. Er bleibt über Wasser.

Er oder sie?

Auf Ewe gibt es kein männliches oder weibliches Pronomen, nur ein einziges. Manchmal verwechselt ihre Mutter die beiden und sie korrigiert sie, als wäre das wichtig. Manchmal erzählt ihre Mutter von ihrer Schulzeit in Togo. Sie ist in einer Zeit aufgewachsen, in der der Gebrauch der Muttersprache in der Schule nicht nur vernachlässigt, sondern auch drastisch bestraft wurde. Ihre Mutter hat Muttersprache nicht Tochtersprache werden lassen. Die Tochter findet keine Worte.

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Sie betrachtet den fertigen Elefanten, der inzwischen mit dem Rüssel auf das Wort zeigt, mit dem die Ewe Sprache ihn umschreibt.

Atiglinyi – Elefant

Wortwörtlich heißt das Baumschubser. Sie muss lachen, stellt sich einen Baum vor, einen Rüssel, einen bedachten Schubs.

Ein taumelnder Elefant droht weiter zu stampfen, also wird er in Fesseln gelegt und versteinert. Nachfahren von Kolonialisierten nehmen sich ein Beispiel an atiglinyi, schubsen Statuen mit Bedacht von ihrem Sockel, lassen sie baden gehen.

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„Selbst im Meer gehen sie so schnell nicht baden: Manche Elefanten können kilometerweit von Insel zu Insel schwimmen. Außerdem sind sie hervorragende Taucher, im Wortsinn: Meist schaut ihr Rüssel wie ein Schnorchel aus dem Wasser heraus.“

Ein Elefant scheint manchen schwerfällig, unbeweglich,
träge.
In Wahrheit ist er sachte,
schwimmend,
treibend, überall, nicht hier und
nicht dort.

Wir versteinern Sprache, als sei sie gefesselt, im Käfig, zum Anschauen und Füttern, sie darf nicht weglaufen, nicht entfliehen: kein Gender, keine Sternchen, kein Schokokuss, kein Radiergummi, kein Tintenkiller, keine Korrektur, kein Wandel. Das wäre ja Tierquälerei. Wir müssen Sprache nicht
einsperren, wir können sie schwimmen lassen, den Schlüssel wegwerfen.

Sie malt Ayims Walnussmangobaum an den Blattrand, saftig und orange. May Ayim stellte sich 1993 vor, ihren Ewe Großvater unter dem Gedankengestrüpp des Walnussmangobaums zu treffen, miteinander zu reden, gemeinsam zu lachen, dieselbe Sprache zu sprechen. Der Elefant streckt sich, fährt den Rüssel aus und pflückt eine Mango vom Baum. Warmer Wind weht das Blatt beinahe vom Tisch. Eine Walnuss fällt aufs Papier. Sprache soll Bäume schubsen. Koloniale Gewalt verstehen heißt Bäume schubsen.