Gesche-Gottfried-Spuckstein

Grafik des Gesche-Gottfried-Spucksteins in Dunkelblau

Gesche Gottfried

Von Zeit zu Zeit sehen wir sie gern, die Hinrichtungen auf dem Domshof, ein bisschen Farbe zwischen Schietwetter, Rheuma, schwarzem Tee. Aber wir geben nichts drauf, eine Mörderin guillotiniert zu kriegen wie Marie Antoinette, das Schwert ist genug und das handlichere Ding. Giftmorde haben wir schließlich alle erlebt, die einen im Kleinen, die anderen im Großen, wortwörtlich die wenigsten und eine der Wenigen findet hier ihr Ende. Gesche Gottfried. Dreimal gespuckt. Tod durch das Schwert, auch wenn ihre Macht minutenlang so groß wie die einer Königin erschien.

Historische Ansicht des Spucksteins. Im Hintergrund sind Straßenbahnweichen und Passanten zu sehen. Der Blick ist auf den Domshof gerichtet.
Staatsarchiv Bremen, am Bremer Dom – Spuckstein-Gesche-Gottfried, 1923

Die einen nennen’s Freiheit, die andern Mord.

In Wahrheit lag da nur ein bisschen Macht, Machtfetzchen zwischen den Laken, in denen sich ihre Opfer quälten. Gesche wischte ihnen den Schweiß von der Stirn, hielt das winzige Händchen ihres Kindes, des ersten, des zweiten, sah in den wimmernden, dann stummen Blick. Sah nichts. Der Engel von Bremen kniete am Bettrand und verteilte still den Tod, Arsen in Butter. Gegen die Plage im Keller, die bestand aus Mäusen, und gegen die in der Beletage, die bestand aus Vater, Mutter, Gatten, Kindern, Freunden. Fünfzehn Menschen im Gesamten plus acht Mäuse, die verzeiht man ihr. 

Wie leicht und wankend alle vor ihr standen und nicht merkten, dass der Boden unter ihnen morsch war von ein bisschen Fett. Die Grenze zwischen Tod und Leben einfach umfiel. Ihr Sohn dachte an den lieben Gott, der ihn da unten haben will, und übersah dabei die Mutter, die ihn sich vom Halse wünschte und die der Grund war für die Koliken im Magen. Die einen nennen’s Freiheit, die andern Mord. Der Anwalt sagte: schuldunfähig, ein Wort, das niemand kennt und keiner je verstehen will. Denn fähig war sie doch. Und was ist Bosheit, wenn nicht das.

Spuckstein-Gesche-Gottfried

Noch einmal hebt sie ihren Blick, von hieraus, vom Schafott, sieht man das Brautportal des Doms. Hier ging sie, Mädchen noch, zur Bibelstunde. Und sie betet wieder, betet still zu ihrem Gott, der auch ein Mann ist, wie der Senator, der Richter, die Geschworenen, der erste Gatte und der zweite, und Calvinisten sind sie alle, glauben mehr ans Geld als an die Gnade.

Die Mäusebutter, die sie ins Gefängnis brachte, ist längst schon ranzig. Auf ihren Tod hat sie in der Ostertorwache drei Jahre warten müssen, und gleich lässt man sie endlich gehen. Gesche wölbt die Lippen vor zum Kuss. Der Henker riecht durch die Kapuze noch nach Zwiebeln und nach Ammoniak. Ihre Nase groß wie norddeutsche Kartoffeln, ihre Ohren Riesenmuscheln, gefallen aus der Hafenfracht, und jetzt fällt auch ihr Kopf.

Wir sehen uns im Himmel wieder, Gesche. Da sitzen wir und warten schon, der kleine Heinrich, Elise Schmidt, die nie älter als drei geworden ist, und Freundin Berta, die dir die Mäusebutter brachte, und später, ohne es zu wissen, davon aß, und auch Senator Droste hat sich angekündigt. Erbarmen ist etwas für Rosenkränze, wir aber trinken lieber Tee, so schwarz wie deine Träume.

Nora Bossong