Der Lichtbringer

Grafik des Lichtbringers in Blau

Der Lichtbringer

Hast du schon ein Foto von diesem großen, goldenen Relief gemacht? Findest du es schön? Würdest du eine Postkarte davon kaufen? Wenn du das Relief mit nach Hause nehmen dürftest, wo würde es gut hinpassen? Willst du es haben? Du kannst das Relief mitnehmen, es wird nicht mehr gebraucht. Wenn du mal kurz mit anpackst, nehmen wir es jetzt gleich von der Fassade.

Du bist dir nicht sicher? Dann gehen wir doch noch mal ein paar Schritte zurück. Du hast gehört, diese Böttcherstraße, die muss man sich ansehen, wegen Kunst und der eigenwilligen norddeutschen Architektur der Zwanziger Jahre. In der Böttcherstraße befndet sich das Paula Modersohn-Becker Museum, da wolltest du reingehen. Aber jetzt gehen wir erstmal Schritt für Schritt rückwärts. Fünf Schritte, fünfzehn, zwanzig, soweit, bis das Motiv des Reliefs nicht mehr genau zu erkennen ist. Je weiter wir weggehen, desto undeutlicher wird es: irgendwann sehen wir sehen nur noch ein glänzendes, goldenes Quadrat. Und je näher wir rangehen, desto mehr sehen wir.

Ein großförmiges Bronzerelief zeigt einen unbekleideten jungen Mann, der mit einem Schwert gegen ein dreiköpfiges Wesen kämpft. Es ziert den Eingang der Böttcherstraße, welche man im Hintergrund sehen kann.
BTZ Bremer Touristik-Zentrale/Ingrid Krause, Böttcherstraße – Lichtbringer

Aber was bleibt unsichtbar?

Was siehst du?
Was sehe ich?
Einen goldenen Jüngling. Oder – nein. Eigentlich kann ich gar kein Geschlecht an ihm ablesen. Ich sehe also eine nackte Person mit flacher Brust und schulterlangem Haar, die ein überdimensioniertes Schwert trägt. Ein glatter, durchgestreckter Körper, der aus dem Relief hervorragt, als würde er sich bald herauslösen und auf dem Bremer Marktplatz aufprallen. Ich sehe einen aufgewühlten Himmel über dem Rücken der Figur, und einen Himmelskörper oben links. Ich sehe viele winzige Menschenkörper am Boden. Und einen Drachenkörper. – Ich sehe ein Bild, das mich irritiert. Ein Bild, das ich als schiefes Bild bezeichnen würde, wenn es in einem Text vorkäme. Ein Bild, das nicht funktioniert. Was wäre das Relief dann für ein Text? Ein tragisches Heldengedicht? Eine Strophe aus dem Nibelungenlied? Eine katholische Heiligenlegende? Oder ein überzogener Fantasyroman?

Natürlich sehe ich was, was du nicht siehst. Aber was bleibt unsichtbar?
Was ich nicht sehe, ist die Zahl 1933. Denn sie wurde von Bernhard Hoetger, dem Urheber, schließlich weggelassen – obwohl er sich gewünscht hatte, sie ins Relief einzuprägen, wie er in seinen Briefen aus den Dreißiger Jahren beteuert. Er wollte sich nur nicht zu offensichtlich bei Hitler anbiedern. Im Jahr 1936, als das Relief geschaffen und an der Fassade montiert wurde, waren die Nationalsozialisten bereits seit drei Jahren an der Macht, und Hoetger unterstützte die Diktatur der Nazis aus voller Überzeugung. Hoetger war 1934 ihrer Partei, der NSDAP, beigetreten, aber er und sein Werk stießen bei den Nazis nicht auf Gegenliebe: Dass die Nazis seine Kunst ablehnten und als „entartet“ labelten, macht ihren Urheber aber noch lange nicht zu einem kritischen Künstler. Obwohl er 1936 aus der Partei ausgeschlossen wurde, blieb Hoetger den Nazis treu und schuf noch im selben Jahr ein Relief, das er Hitler widmete, um ihn und seine Taten zu verehren. Es ist das Relief, vor dem du jetzt stehst. Anders, als nach dem Krieg und bis heute gerne behauptet wird, kann durch Briefe von Hoetger und Roselius belegt werden, dass das Relief nicht den Erzengel Michael darstellen sollte, sondern den „Sieg des Führers über die Mächte der Finsternis“. Hoetger gab ihm den Titel „Lichtbringer“, womit kein anderer als Adolf Hitler gemeint war, dessen Name bekanntlich keineswegs für Licht, sondern für die Vernichtung von vielen Millionen Menschen steht, vor allem die der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa.

Was für ein Text wäre also das Relief? Ein nationalsozialistischer Lobgesang? Ein schmeichelnder Brief an Hitler? Ein schwülstiges germanisches Märchen, das Gewalt verherrlicht?

Die historische Fotografie zeigt den Lichtbringer zeigt den Eingang der Böttcherstraße. Im Hintergrund sind Passanten und Touristen zu sehen.
Staatsarchiv Bremen, Böttcherstraße – Lichtbringer, 1938

Was wäre das Relief dann für ein Text? Ein tragisches Heldengedicht?

Und – hängen wir das Relief jetzt ab oder nicht? Löscht du das Foto auf deinem Handy? Wie könnten wir heute mit Kunstwerken im Stadtraum umgehen, die in einem Nazi-Kontext entstanden sind oder in der Kolonialzeit?

Ich finde, der „Lichtbringer“ muss in das Licht gerückt werden, das er spendet: in ein schlechtes Licht. Wer hinter seine goldene Fassade blickt, kann sehen, dass er lange Schatten wirft. Vielleicht sollte er deshalb Platz machen, zum Beispiel für ein Werk von Paula Modersohn-Becker. Wenn du gleich in das Museum gehst, dann schau, was du siehst und was du nicht siehst – und welches Werk die Fassade besser schmücken könnte als der „Lichtbringer“. Ich bin sicher, Paula Modersohn-Becker wäre eine gute Fassadenheilige der Böttcherstraße, und eine leuchtende sowieso.

Katharina Mevissen

Zitate nach Quelle:
Thomas Hirsche: Bernhard Hoetger im Nationalsozialismus
In: Bernhard Hoetger – Skulptur, Malerei, Design, Architektur.
Hg. Maria Anczykowski, Bremen 1998.