Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938

Grafik des Mahnmals für die Opfer der Novemberpogrome in Grün

Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938

Wie könnt ihr sowas Sühne nennen? 
Dieses Teil aus massivem Beton: 
diese aufgestapelten Quader, 
aufgestapelt und schwarz übermalt – 
ein verwaschenes, glanzloses, totes Schwarzmatt – 
Hier lebt gar nichts. Dies ist nur toter Beton 
verdeckt von toter Farbe. 

Dies ist ein Mahnmal. Für wen soll es sein? 
Kümmert das die Toten denn wirklich? 
Eine hohle Platte aus Metall gibt es da, 
die trägt die Namen der Opfer, 
der unschuldigen Männer und Frauen, 
die man nachts in ihrem eigenen Zuhause ermordet hat. 
Aber die Namen sind schwer zu lesen, 
es fehlt an Kontrast. 
Alles ist überstrichen 
in einem verblichenen Schwarz. Und so sind die Opfer 
unsichtbar geworden, sie fallen nicht ins Gewicht, 
so wie damals, 1938.  

Das Design sollte zeitlos sein. 
Das Design sollte einfach sein: 
minimalistisch, gradlinig 
und völlig schmucklos. 

Was ist zeitlos? Was ist für die Ewigkeit? 
Wie soll denn etwas sein, 
das zeitlos ist? 
Unvergänglich? Ohne Alter? Ohne Jahreszahl? Ohne Ende? 

Doch dieses Mahnmal wirkt wie eine halbherzige, 
widerwillige Geste. Zu spüren ist 
ein Mangel an Gefühl, als gelte es neutral zu sein. 

Eine historische Ansicht zweier Passanten, die sich das Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938 anschauen. Das kubische Denkmal trägt eine Schrifttafel mit den Namen der Ermordeten.
Rike Oehlerking, Platz vor dem Gebäude Landherrn-Amt – Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938, 1982

Der Künstler hatte hier eine Bank 
vorgesehen, einfach so, genau 
vor dem Denkmal. Als einen Ort 
um zu verweilen, um nachzudenken – 
Aber wer würde hier sitzen wollen 
an dieser trostlosen Straßenecke? 
Wer würde hier sitzen wollen 
und auf solch banale Hässlichkeit starren? 

Schließlich aber starb der Künstler 
bevor das Mahnmal errichtet wurde – 
und man ließ die Bank weg. 

Schulkinder kommen und gehen, 
Leute streifen vorbei auf ihrem Weg wohin auch immer– 
aber wie viele von ihnen wissen 
etwas über dieses Mahnmal? 

Und doch gibt es noch welche, die hier Blumen ablegen 
während andere kleine Steine 
hinterlassen auf dem Sims. 

Manchmal kommen Besucher: 
Am 27. Mai 1997 
sprach Rabbi Dr. Jacob Gerd Wiener 
aus Silver Spring in Maryland, 
geboren 1917 in Bremen 
als Koppel Gerd Zwienicki 
das Kaddisch für seine Mutter Selma Zwienicki 
und für all die Toten. 

Eine historische Ansicht zweier Passanten, die sich das Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938 anschauen. Das kubische Denkmal trägt eine Schrifttafel mit den Namen der Ermordeten.
Staatsarchiv Bremen, Platz vor dem Gebäude Landherrn-Amt – Mahnmal für die Opfer der Novemberpogrome 1938, 1982

Nur die Opfer können euch vergeben, 
wenn sie denn so entscheiden. 

Ein paar Jahre später 
hat jemand weiße Hakenkreuze 
auf das verwaschene Schwarz gemalt. 
Ein paar Jahre später, als hier eine Baustelle war, 
hat man ein Bauklo direkt an 
das Mahnmal gesetzt. Heute 
pinkeln es Hunde an, 
jemand hat sich grad daran erbrochen. 
Und doch gibt es auch welche, die hier immer noch 
Blumen ablegen, während andere 
kleine Steine hinterlassen auf dem Sims. 

Was ist zeitlos? 
Was ist unauslöschlich? 

Und so sag ich euch, was zeitlos ist, 
ist das Kaddisch, das Dr. Jacob Gerd Wiener 
für die Toten gesprochen hat. Was zeitlos ist, 
ist die Erinnerung der Seele an das Meer und den Himmel. 
Was zeitlos ist, ist die Erinnerung der Seele 
an den Gesang eines Vogels, den sie zu ihrem eigenen gemacht hat. 
Was zeitlos ist, ist die Erinnerung der Seele an das Leben. 
Und so sag ich euch, was zeitlos ist, 
ist der Lobgesang der Seele, 
wenn sie den sterbenden Körper verlässt. 

Sujata Bhatt
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Augustin