Stadtbibliothek
Die Stadtbibliothek – Bücherverbrennung
Wir haben ein ganzes Jahrhundert getragen. Herangekarrt, hochgeschichtet und verkantet, sollten wir Eindruck machen auf die Menschen. Und das taten wir. Man konnte uns schon von Weitem sehen, vom Ostertor kommend, einem Tor gleich zur Stadt. Man kann es noch heute.
Fahre einmal die Kanten entlang. Versenke die Finger in der Unebenheit unserer Fläche. Fundament sind wir, Mauer und Schutz, formen die Brücken und Balkone, Giebel und Erker, wir halten die Fenster. Wissen, was zu diesem Ort gehört. Wenn du das Gebäude betrittst, kannst du hören, wie deine Schritte auf Marmor Purzelbäume schlagen, gegen die gläserne Decke und zurück, kannst du in die Bibliothek abbiegen, durch die Regale streifen, auf der Suche nach etwas zu lesen. Kannst du dich fragen, wie das, was einmal war, an diesem Ort, sich jetzt noch zeigt. Wir könnten darüber erzählen: was zwischen diesen Mauern liegt. Welche Geister. Welche Geschichten. Wie wir wurden, was wir heute sind. Nicht mehr nur Stein, nicht mehr Polizeihaus, sondern ein Forum. Und in unserer Mitte die Bücher.
Wir könnten zum Beispiel vom Mai 1933 erzählen. Von einem jungen Mann, Horst Hackenbroich, und wie er durch die Straßen geht. Nicht hier, sondern im Westen von Bremen. Der Vater hat ihn losgeschickt, noch Fische auszutragen. Wie er Flammen aufflackern sieht, am Ende der Straße, auf der Danziger Freiheit, Spielplatz, Schulhof und Marktplatz zugleich. Hier hat er als Fünfjähriger schon in jeder freien Minute herumgetollt. Verkaufen die Eltern unter der Woche geräucherten Fisch.
Er geht näher heran und sieht, dass zwischen 20 und 30 Mann um einen Scheiterhaufen stehen, Uniformierte der SA, Zivilisten und Studenten. Dass obenauf eine Menschenpuppe brennt, und darunter Bücher. Wie sie die Bücher ins Feuer werfen, eins nach dem anderen, mit einem feierlichen Spruch, unter Buh-Rufen und lautem Gebrüll von Kraftausdrücken. Er fürchtet, was Heinrich Heine ein Jahrhundert zuvor schon wusste: Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen. Also entfernt er sich, leise, und entkommt, für den Moment.
Jedes dieser Bücher steht auf der schwarzen Liste. Kommt aus einer Bücherei, einem Laden, einem Zimmer. Wird eingesammelt oder überbracht. Es regnet nicht, also kann es brennen. Drei Wochen später muss jede Privatbücherei Auskunft geben bei der Polizei über ihren Bestand. Man kann versuchen, es sich vorzustellen: wie eine Person, hier, vorne beim Haupteingang, durch die Tür tritt, in der Tasche die Abschrift einer Bücherkartei. Aber das war ein Vorspiel nur. Die schwarze Liste wird länger. Es wird aussortiert. Auch beim Vorläufer der heutigen Bibliothek, damals beim Bahnhof. Der Bestand wird so gut wie halbiert, ein paar Bücher nur werden auf den Dachboden gebracht. Giftzimmer nennen sie das. Es gilt, nur zu lesen, was gelesen werden soll. Und wer die Bücher schreibt, ringt ums Überleben, Worte in den Schatten gelegt, unter der Zunge verborgen. Das geistige Leben verdunkeln heißt: Krieg vorbereiten, wird Peter Suhrkamp schreiben. Später.
Später halten wir den Bomben stand, auch einer Explosion im Innenhof, da ist der Krieg schon vorbei, ein Unfall beim Verladen der Granaten. Bücher wandern vom Dachboden zurück in die Regale. Jahrzehnte vergehen, die Polizei zieht aus, und wir werden zum Forum. Die Bibliothek zieht ein, mit all ihren Büchern, auch den verbrannten. Bücher, das wissen wir nun, kann man nicht verbrennen, schreibt Erich Kästner. Aber wer kann schon wissen, was nicht doch verloren ging, nie geschrieben wurde, nie gelesen.
Die Plätze, auf denen es hier brannte, gibt es nicht mehr. Sind jetzt Park oder Wohngebiet. Wo einmal ein Bibliothekshaus am Bahnhof war, steht jetzt ein großes Kino. Wir sind geblieben, und die Worte sind zu uns gekommen. Haben sich aneinander gereiht, geschichtet und verkantet wie wir selbst. Wir sind uns ihrer gewiss. In unserer Mitte die Bücher.
Wir könnten vieles erzählen.
Stein auf Stein wollen wir sein, und behüten, was uns anvertraut ist.